Nicht wegsehen! Nicht schweigen!

Nicht wegsehen! Nicht schweigen!
Über die Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen Pfarrer Georg Merettig und die Kraft von Präventionsarbeit.
Es ist gut ein Jahr her, als wir mit Aushängen, Vermeldungen und auf unserer Internetseite die Gemeinde über die Vorwürfe von sexualisierter Gewalt gegen Kinder durch Pfarrer Georg Merettig informierten. Ausgehend von verschiedenen Verdachtsfällen und ersten Untersuchungen in Wolfenbüttel, wo Pfarrer Merettig in seinen letzten Jahren lebte, beauftragte das Bistum eine Kommission mit dem Vorsitzenden Richter a.D. am Landgericht, Wolfgang Rosenbusch, und weiteren Fachleute, die vorliegenden Hinweise zu untersuchen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden Zeitzeugen und mögliche Opfer gebeten, sich mit den vom Bistum unabhängigen Ansprechpersonen in Verbindung zu setzen.
Pfarrer Merettig war von 1979 bis 1985 auch in St. Martin in Wendhausen tätig. Deshalb war es uns wichtig, auch in unserer Gemeinde offen mit dem Thema umzugehen und aufzurufen, sich ggf. mit Wolfgang Rosenbusch oder Mitgliedern der Kommission in Verbindung zu setzen.
Inzwischen liegt der Untersuchungsbericht vor und ist öffentlich auf der Seite des Bistums einsehbar . Dort ist zu lesen, dass Georg Merettig „deutlich mehr als 41 gleichartige Straftaten in der Zeit zwischen 1980 und 2009 begangen“ hat. Die zitierten Berichte der Opfer ähneln sich teilweise bis ins Detail. Georg Merettig hat demnach an allen seinen Einsatzorten immer wieder einen Rahmen geschaffen, um vor allem mit Jungen in Kontakt zu kommen, die nicht zum Kern der jeweiligen Gemeinden gehörten. Dabei kam es immer wieder zu sexuellen Übergriffen. Auch die Ferienfreizeiten auf Ameland, die viele Kinder und erwachsene Betreuern und Betreuerinnen von damals in guter Erinnerung haben, gehören leider in diesen Zusammenhang.
Es können nach wie vor noch neue Erkenntnisse über die damaligen Geschehnisse hinzukommen. Weiterhin gilt die Ermutigung, sich an die dafür vorgesehenen Kontaktstellen zu wenden, wenn man Informationen beisteuern kann oder sogar selbst Opfer war.
Tatsächlich sind auch Kinder, die damals im Bereich der St.-Martin-Gemeinde gewohnt haben, Opfer der Übergriffe geworden! Was dabei aus heutiger Sicht besonders verstörend erscheint: Laut Untersuchungsbericht sprechen Zeitzeugen davon, dass „Gerüchte im Dorf herumliefen“ und „dass damals geredet worden sei“ und es sei „auffällig gewesen, dass Pfarrer Georg Merettig oft mit mehreren Jungen zusammen gewesen und auch zum Schwimmen gefahren sei.“
Zudem ist es rückblickend bedrückend, dass sich keines dieser Kinder damals seinen Eltern anvertrauen konnte und die Missbräuche nie offen thematisiert wurden.
Man darf hoffen, dass Kinder sich heute früher gegenüber Eltern und anderen Vertrauenspersonen öffnen und Hilfe holen würden. Die vielen Präventionsmaßnahmen und Angebote zur Stärkung des Selbstbewusstseins von Kindern in Schulen, Vereinen und Verbänden und auch in den Kirchengemeinden zeigen nach und nach Wirkung. Kinder treten Erwachsenen anders gegenüber. Sie haben einen selbstbewussteren Stand. Sie wissen mehr über ihren Körper und auch, dass Erwachsene nicht alles tun dürfen. Sie lernen deutlicher „Nein“ und „Stopp“ zu sagen. Diese Wirkung von Prävention ist sehr wichtig. Es ist gut, dass wir auch in unserer Gemeinde ein Präventionsteam haben. Es macht sich dafür stark, dass sich alle Kinder wohlfühlen können und durch unser Schutzkonzept ein möglichst sicherer Rahmen dafür entsteht.
Allerdings reicht es nicht allein, Kinder zu stärken. Vor allem die Erwachsenen sind gefragt, aufmerksamer und mutiger zu werden. Damals gab es bei manchen ein ungutes Gefühl und es gab Gerede. Heute gilt: Trauen wir unserem Gefühl. Sehen wir nicht weg. Sprechen wir es an, wenn uns etwas Ungewöhnliches auffällt. Nutzen wir in solchen Fällen die heute vorhandenen Gesprächsmöglichkeiten von Beratungsstellen oder wenden wir uns an die vom Bistum beauftragten, unabhängigen Gesprächspartner und -partnerinnen. Natürlich können auch Pfarrer, Gemeindereferent und die Präventionsbeauftragten jederzeit angesprochen werden.
Wichtig ist auch, dass wir uns informieren: über sexualisierte Gewalt, über Täterstrategien, über Rahmenbedingungen, die Missbrauch begünstigen, über mögliche Anzeichen bei Kindern, die sexualisierte Übergriffe erleben, und vieles mehr. Das Wissen darüber verändert zugleich unsere Haltung und weitet unseren Blick. Alle Ehrenamtlichen der Kirchengemeinden, die mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten, müssen Präventionsschulungen besuchen und erleben diese als gut und hilfreich. Gern organisieren wir solche Informationsveranstaltungen aber auch für alle, die daran Interesse haben. Machen wir uns gemeinsam stark für das Wohl der Kinder. Sehen wir hin und sprechen wir darüber!
Stefan Hain
Die Seite www.praevention.bistum-hildesheim.de liefert viele Informationen rund um das Thema Missbrauch und Prävention.